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Jesus Christus spricht: “Liebet eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet.“    Matthäus 5, 44 – 45

                                                                

Dieses Wort sagte Jesus zu seinen Jüngern, die zugleich Kinder des himmlischen Vaters sind - wie alle, die an Jesus Christus glauben und in seiner Nachfolge leben. Sie und so wir alle gehören zusammen zu Gott, zu Jesus Christus und zueinander. Wir sind unterwegs zum kommenden Reich Gottes“ (Matthäus 5,29) und zur „Vollkommenheit“ (Matthäus 5,48). Wir sind, sollen und dürfen Modell für die Welt sein – und zwar nicht jeder für sich und allein, sondern im Wir, das Jesus Christus ermöglicht hat.  

Das Zusammenleben, das Miteinander der Christen, soll  Epoche machen in der Weltgeschichte. Die  Gesellschafft soll es im Zusammenwirken der Christen sehen und Anreize finden, wie Menschen miteinander umgehen, sich teamfähig erweisen und gemeinsam den Alltag mit allen Herausforderungen bewältigen und die Welt gestalten.  

 Gegenüber solcher Setzung durch Jesus Christus steht weithin das wirkliche Verhalten der Christen entgegen. Man denke nur an den Umgang miteinander: das Rechthabenwollen, das Reden über einander hinter dem Rücken des Anderen, manche Unehrlichkeiten und Unwahrheiten , das  Besserwissenwollen, das Nachtragen, die mancherlei ausgesprochenen Beleidigungen, den Streit und Kampf im Innern – auch unausgesprochen, letztlich ihren tiefen Hass und ihre Unversöhnlichkeit. Alle diese Negationen füllen Protokolle, Bücher und  Bände der Welt. Bis in die Gerichtsakten ist festzustellen, wie gründlich und engagiert Christen einander auch streiten können.

Jedoch  Christen müssen Modell von Morgen für die Gegenwart sein. Andernfalls ist ihr Glaube nicht glaubwürdig, ihr Glaube an Jesus Christus und ihr Christuseinsatz in Gemeinde und Welt nicht Ausdruck ihrer Lebensbewältigung.                                                     

Kann schon der Aufruf zur Nächstenliebe für manche als Zumutung gelten, so werden beim Aufruf zur Feindesliebe weithin gewohnte Grenzen überschritten. Doch dazu ruft Jesus auf. Er sagt: „Liebet eure Feinde und  betet für die, die euch verfolgen.“

Während beim Nächsten durch die Geschichte hindurch sich verschiedene Bedeutungen zeigten,  sind durch die deutsche Übersetzung des griechischen Begriffes und durch die Festlegung durch Jesus Christus alle Menschen gemeint. In weltweit informierter Gesellschaft gilt als Nächster der, der jetzt meine Hilfe braucht, dem ich jetzt der Nächste sein kann(Lukas 10,25-37).   

Unter dem Feind verstand man in Israel den, der dem Bund Gottes mit seinem Volk Widerstrebende. Es ist der Mensch, der Gottes Offenbarung, Gottes Reden, Denken und Handeln im Einzelnen, im Volksganzen und in der Völkerwelt für Unsinn hält. Es ist der Gottlose, der Blut vergisst, tückisch und lästerlich über Gott redet.      

In der Qumran-Sekte galt als heilige Satzung „alle Söhne des Lichtes zu lieben, jedem nach seinem Los in der Gottesgemeinde und alle Finsternissöhne zu hassen, jeden nach seiner Verschuldung, in Gottes Rache“.

Das Hassen der Feinde ist im Alten Testament und in der rabbinischen Tradition  so nicht als Gesetz nachweisbar. Doch populär war für den Durchschnittsisraeliten in den Tagen Jesu das Verhalten, wie es Jesus Christus aufzeigt: Freunde zu lieben, Feinde  zu hassen, auch wenn bei Rabbinen an einigen Stellen zum Ausdruck kommt, die Feinde zu achten.

Jesus nimmt mit seinem „Ich aber sage euch…“ (Matthäus 5,44) das Gebot der Nächstenliebe auf und weitet es auf alle Menschen aus, über alle Volks- und Gruppenzugehörigkeit hinaus. Er sagt: „Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen“  (Matthäus 5,44). Er hat die im Blick, die in weitester  Entfernung und Entfremdung von Gott ihr Leben  gestalten und durchsetzen. Es sind Menschen, die mit den Jüngern und Christen aller Zeiten nichts Gemeinsames haben, noch haben wollen als den einen Gott,  den Schöpfer aller Menschen. Auch die hat Jesus im Blick, die die Existenz der Christen in der Welt bedrohen oder auch vernichten. Im Text heißt es „die euch verfolgen“, also hassen und auslöschen wollen. Auch wenn die Aussage sich auf den persönlichen Bereich bezieht, so ist die weltweite politische Perspektive nicht ausgespart.

Feinde heute… Jeder kennt sie z.B. Mieter im Haus und in der Nachbarschaft, Arbeitskollegen, Freunde von einst, in der Gesellschaft Atheisten und  religiös Andersverhaftete, in der Völkerwelt Politiker, die andere verfolgen, vertreiben und auslöschen wollen. Es sind Menschen, deren Liebespendel konsequent zur anderen Seite ausgeschlagen ist und immer wieder ausschlägt. Menschen, die anderen das Leben schwermachen und verleiden.

Diese gilt es zu lieben! Es geht um die Hinwendung zum Feind ohne Lohngedanken. Liebe, die den Feind in seiner Situation ernstnimmt und mit allen verfügbaren Kräften und gewaltfreien Mitteln zum Besten hilft, ohne Bedingungen zu stellen, noch Vorteile zu erwarten. Es geht um Liebe, nicht als einzelne Tat, sondern als Grundhaltung des Christen, die sich immer wieder, jeden Tag neu so im Spannungsfeld äußert. Rudolf Bultmann war  von der Feindesliebe so beeindruckt, dass er darin „das Charakteristische der Verkündigung Jesu“ fand.

Solche Feindesliebe schließt auch die  Fürbitte mit ein. Ernst Lohmeyer redet davon, dass „hier zum ersten Mal in der Geschichte des Gebetes…eine Fürbitte gefordert wird für Menschen, die das Beten deshalb angehen, weil auch sie Menschen, von Gott geschaffen sind, über die nicht eine menschliche Not oder Feindschaft, sondern das Wissen, dass auch sie vor Gott stehen, entscheidet.“ D.h. auch der Mensch, der in seiner Wut oder im Anflug seinen Hass – aus welchen Motiven und in welchen Bereichen – an Menschen auslässt, steht vor Gott und bedarf der Erfahrung von Liebe durch mich, weil Gott ihn liebt - nicht wegen seiner Taten, sondern als Person. In der Fürbitte nehmen wir Menschen schon in die Beziehung zu Gott, in die Gegenwart Gottes.

Die Weisung Jesu an Christen scheint über unser Vermögen zu gehen. Was jedoch uns nicht durchgehend gelingt, empfängt die Erinnerung an den Vater im Himmel. Gott lässt seine Sonne aufgehen über Gute und Böse. Er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte(Matthäus  5,45). Wer sich immer wieder an diesem Gott ausrichtet,  der kommt motiviert und intensiv in Bewegung, Gottes grenzenlose und voraussetzungslose Liebe - von der er selbst jeden Tag neu lebt – vermehrt zeichenhaft umzusetzen.

Solche Liebe, die sich auch in der intensiven Fürbitte äußert, wird grenzüberschreitend wirklich. Solches Verhalten befreit vom alten  Trott: „Wie du mir, so ich dir.“ Es ermöglicht neue Gestaltungsräume im  neuen Miteinander; denn Liebe ist die stärkste verändernde Macht im Miteinander von Mensch zu Mensch,  Volk zu  Volk und Israel in der Völkerwelt.

Welch eine Hoffnungsperspektive, die Neues freisetzt und in Gang hält.

 

Siegward Busat