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Erinnerungen an früher!

Geschichten mitten aus dem Leben

 

Foto by_Rosel Eckstein_pixelio.de
                                            
   

Es ist Sommer. Der Himmel ist hellblau, die Sonne strahlt und die Luft ist warm. Und das Beste: Es ist Wochenende! Mittagszeit. Viele der Nachbarn sind gerade in Urlaub, daher ist es rings um mich herum schön ruhig. Was gibt es da Schöneres, als in den Garten zu gehen, sich eine Gartenliege zu schnappen und sich genüsslich darauf auszustrecken, die Augen zu schließen und ein bisschen zu dösen. Nichtstun. Ausruhen. Schlafen. Ruhe! Herrlich!

Aber – was ist das – schon nach kurzer Zeit, so kurz vorm Einnicken, höre ich in immer gleichmäßigen Abständen ein monotones Gurren: „Guru – Guru“. Och nö! Muss das jetzt sein? Wie soll man bei dem Krach denn schlafen? Ich öffne die Augen und schaue, woher dieser „Lärm“ denn wohl kommen mag.

Und da. - Auf dem Dachgiebel des angrenzenden Hauses hat sich ein Taubenpärchen niedergelassen und stolziert dort genüsslich auf und ab. Es ist nicht zu übersehen, dass das Taubenmännchen dem Weibchen imponieren möchte und unterstreicht dies immer wieder mit einem sich ständig wiederholenden „Guru – Guru“.

Menno. Geht das nicht leiser? Ich möchte doch schlafen, da brauche ich Ruhe. Ich mag da keine Nebengeräusche. Ich versuche diese Störenfriede zu ignorieren, mache die Augen wieder zu und bemühe mich, an etwas anderes zu denken, um mich nicht weiter darüber zu ärgern. Doch es dauert nicht lange, da höre ich wieder „Guru – Guru“. Hm. Ich könnte jetzt einfach in die Hände klatschen und die beiden Turteltäubchen verscheuchen – das mache ich aber nicht. Stattdessen überlege ich: „Hat mich das eigentlich schon immer gestört? Was soll das? Hat mich sowas früher auch schon geärgert?“

Ich liege so da, die Augen immer noch geschlossen und ich versuche mich zu erinnern und schicke meine Gedanken auf die Reise. Ich atme tief ein und wieder aus. Werde ruhiger. – Guru – Guru. Kurze Pause – und wieder Guru – Guru…

Als Kind habe ich dieses Guru-Guru oft gehört. Ich erinnere mich. Und ich weiß jetzt wieder - ich fand’s toll.

Als ich noch sehr jung war, vielleicht 8 oder 9 Jahre alt, habe ich oft meinen Onkel ein paar Straßen weiter besucht. Er hatte einen großen Garten mit allem, was sich Kinder so wünschen. Es gab dort eine Schaukel, im Sommer einen Swimming-Pool, eine große Wiese zum Toben und Spielen, einen Teich, Gemüsebeete und Obstbäume, 2 Lauben und … Tiere: Hühner, Kaninchen, Katzen – (nicht nur) für Kinder ein Paradies. Es gab immer was zu tun, zu entdecken, zu erleben. Es war nie langweilig. Da wir selbst keinen eigenen Garten hatten, ich aber ein Kaninchen haben wollte, durfte ich es bei meinem Onkel unterbringen. Ich musste aber versprechen, selbst dafür zu sorgen, dass es ihm gutging. Und das habe ich. Von meinem Taschengeld habe ich, statt Bonbons für mich an der Bude zu kaufen, Kaninchenstreu und -Futter gekauft. Natürlich hat das bisschen Taschengeld, das es damals gab, ich glaube, es war eine D-Mark in der Woche, bei Weitem nicht ausgereicht. Aber es gab für eine D-Mark eine Tüte mit Futter im Futterhandel zu kaufen, den es damals noch im Stadtbild gab. Und wie stolz war ich, die Verantwortung für mein Kaninchen zu haben und schon „groß“ und verantwortungsbewusst zu sein. Im Nachhinein betrachtet wird mein Onkel da doch Einiges dazugetan haben, er selbst besaß ja auch einige Kaninchen. Ich befürchte, das hätte sonst nicht funktioniert. Als Kind sieht man ja nicht immer das große Ganze. Aber ich habe mein Versprechen tatsächlich immer eingehalten. Täglich bin ich zu meinem Kaninchen gegangen oder bin mit dem Fahrrad dorthin gefahren. Erst Schule, dann Essen, dann Hausaufgaben, dann ab in den Garten zu meinem Hoppel, der ja auch beschäftigt werden wollte. Dem Onkel bei der Gartenarbeit oder beim Füttern der Tiere helfen usw.

Und ich weiß noch, wie ich den Weg dorthin genossen habe. Ganz alleine. Auf dem Weg zu meinem Onkel musste ich durch eine alte kleine Zechensiedlung. Die kleinen Häuschen dicht an dicht, mittig die schmale Straße, rechts und links gesäumt von kleinen Bürgersteigen und hohen Bäumen. Und niemand weit und breit zu sehen. Und immer wenn ich in diese Straße einbog, die mich meinem Ziel näherbrachte, hörte ich dieses „Guru-Guru“. In den hohen Bäumen saßen immer Tauben. Die Straße strahlte immer eine gewisse Stille und Ruhe aus, nur ein beruhigendes „Guru-Guru“ war stets zu hören. Und ich erinnere mich, wie schön ich das fand, wie ich mich immer wieder auf diese Straße mit diesem „Guru-Guru“ gefreut habe … Das war nämlich „meine“ Zeit. Zeit – für mich ganz alleine.

Ja – ganz offensichtlich – Ruhe fand ich auch schon als Kind toll. Nur die Definition ändert sich halt manchmal.

Ich liege so da auf meiner Liege, ein paar Jahrzehnte später, nun in meinem eigenen Garten. Tut doch gut, sich mal zu erinnern. Ach, schön war die Zeit. Ich lächele. Und das, was mich gerade noch gestört, ja fast schon geärgert hat, verwandelt sich in eine schöne wohltuende Erinnerung.

Das Taubenpaar besucht mich übrigens immer noch regelmäßig in meinem Garten, es scheint in der Nähe zu wohnen, doch anders als zuvor, ärgere ich mich nicht mehr, wenn ich es höre, sondern denke sehr gerne an meine Kindheit zurück.

Anja Drechsler