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Menschen, bei denen jeder Tag gleich aussieht, können sich auch gleich ins Grab legen!!

Geschichten mitten aus dem Leben

 
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by_Jan Stockmann_pixelio.de

 

„Menschen, bei denen jeder Tag gleich aussieht, können sich auch gleich ins Grab legen!“

Ich stecke in Urlaubsvorbereitungen. Obwohl Corona noch immer nicht den Schrecken verloren hat, beschließen mein Mann und ich in diesem Jahr endlich mal Urlaub zu machen, endlich mal wieder raus. Wir haben uns dazu entschlossen, wandern oder wenigstens spazieren zu gehen, je nachdem, wie es so läuft. Ganz allein für uns.

Wir finden es für den Anfang eine gute Idee, uns Trekking-Stöcke zu besorgen. Gesagt – getan. Wir stehen also in der Wanderabteilung eines Sport-Ausstatters, begutachten das Sortiment, als ich nicht weit hinter mir eine laute Stimme vernehme:

„Ey, ehrlich. Menschen, bei denen jeder Tag gleich aussieht, können sich auch gleich ins Grab legen!“ höre ich da in einer Lautstärke, so dass alle Kunden und Mitarbeiter diesen Satz zu hören bekommen, ob sie nun wollen oder nicht.

„Oha. Eine sehr gewagte These. Ganz dünnes Eis.“, denke ich so bei mir.

Mit zwei verschiedenen Trekking-Stöcken in der Hand, die ich gerade noch miteinander vergleichen wollte, drehe ich mich um und sehe schnell, woher dieser Spruch kommt. In einigen Metern Entfernung steht eine kleine Gruppe von vier jungen Leuten beisammen, ich schätze sie zwischen 18 und vielleicht 24 Jahren alt, die sich darüber auslassen, dass ein Leben nicht lohnt, ja, verschwendet ist, wenn man keine Abenteuer erlebt, Risiken eingeht, immer wieder was Neues sieht, kennenlernt oder ausprobiert. Vergeudete Lebenszeit.

Ich wende mich wieder meinen Stöcken zu und versuche, das Gespräch hinter mir auszublenden, geht mich ja nichts an, doch ich muss mich nicht großartig anstrengen, um all diese Dinge zu hören. Die Kleingruppe hat kein Problem damit, sich lauthals über die, die anders sind als sie selbst, auszulassen.

Ich kann es nicht fassen und bin sprachlos. Ja, ich gebe zu, geärgert hat es mich auch, weil ich diesen Satz so krass finde - so ungerecht, gemein, verletzend, herabwürdigend und anmaßend.

Ich versuche die Härte des gehörten Satzes zu relativieren. Ich möchte mich gar nicht ärgern, ich bin doch bei den Urlaubsvorbereitungen, die Spaß machen sollen, und denke so:

„Na ja, erst einmal war diese Aussage nicht für meine Ohren bestimmt und eigentlich bin ich mir ziemlich sicher, dass dieser Spruch auch so nicht wirklich ernst gemeint war – so -  in dieser Konsequenz – ins Grab legen – der Spruch wurde halt einfach mal so „rausgehauen“ – unter jungen Leuten eben, die neugierig auf das Leben sind, Erfahrungen sammeln wollen und alles andere langweilig finden.“ Und trotzdem. Es arbeitet in mir und macht mich nachdenklich. Denn da gibt es ja nicht nur Jugendliche oder junge Erwachsene, für die das Leben bestimmt ist.

Das fängt schon im Kindesalter an. Die einen erklimmen ein Klettergerüst bis ganz nach oben, die anderen bleiben dann doch lieber in Bodennähe und wollen gar nicht so hoch hinaus.

Im Schulalter dann möchten einige unbedingt eine Klassenfahrt machen und andere möchten lieber zu Hause bleiben. Andere freuen sich, in den Ferien mit der Kirchengemeinde eine Jugendfreizeit mitzumachen, mit anderen Kindern in den Urlaub zu fahren ohne Mama und/oder Papa, und wieder andere möchten genau das nämlich nicht, sondern bleiben lieber zu Hause in gewohntem Umfeld.

Da gibt es Menschen, die suchen nicht das Abenteuer. Es gibt Menschen, die finden es geradezu beruhigend, dass jeder Tag gleich ist, seine Struktur hat und freuen sich, dass sie das Leben ohne Aufregung genießen dürfen. Manche Menschen mit Behinderungen, alte oder kranke Menschen benötigen geradezu so eine Struktur, weil alles Neue beängstigend sein könnte oder zu anstrengend. Das heißt aber nicht, dass sie keine Freude im Leben haben können.

Jemand liest gerne ein gutes Buch – an seinem Lieblingsplatz – mit dem Lieblingsgetränk oder vielleicht auch einer kleinen Süßigkeit auf dem Tischchen nebenan - taucht in die Geschichten ein und überlässt sich seiner Fantasie. Man liest immer wieder ein Buch. Aber es ist doch immer ein anderes!

Jemand liest regelmäßig die Tageszeitung oder sieht sich im Fernsehen regelmäßig die Nachrichten an und hält sich so auf dem Laufenden und nimmt in dieser Form an der Gesellschaft teil - kann in der Welt mitreden, weil man gut informiert ist und seine Meinung einbringen kann. Man liest immer und immer wieder die Zeitung. Aber die Meldungen sind doch immer andere!

Wieder ein/e andere/r rätselt oder puzzelt, bastelt, handarbeitet oder spielt gern mit anderen ein Gesellschaftsspiel und regt so seine Synapsen an, um im Kopf gesund zu bleiben oder sogar besser zu werden. Brainfitness nennt man das. Man rätselt, puzzelt oder bastelt zwar gerne und viel und immer wieder, aber das Rätsel, das Puzzle-Motiv oder Bastelobjekt ist doch immer ein anderes! Und am Ende ist man stolz auf das Geleistete.

Jemand gibt sich gerne oft und ausgiebig der Gartenarbeit hin. Während der Arbeit vergisst er/sie vielleicht die Sorgen des Alltags oder die Schmerzen, die sonst plagen. Er/sie erfreut sich an der Natur, den Tieren, den Farben - der Schöpfung eben - und freut sich, etwas geleistet zu haben. Die Gartenarbeit an sich, mit Schaufel, Harke, Gartenschere ist immer die gleiche, aber das Ergebnis sieht doch immer anders aus.

Wieder andere machen regelmäßig Sport. Das kann immer wieder derselbe Sport sein, oder auch mal ein anderer. Es ist längst erwiesen, dass Sport zum Wohlbefinden beiträgt und gesund ist. Dabei ist es egal, wo man ihn betreibt.

In der Turnhalle oder im Fitness-Center trifft man vielleicht nette Menschen und pflegt soziale Kontakte. Draußen in der Natur schärft das Laufen oder auch einfach das Spazierengehen die Sinne, die Wahrnehmung, manch einer bekommt „den Kopf frei“ und der Stresslevel sinkt.

Es gibt Menschen, die ihre Freizeit einsetzen, um ein Ehrenamt auszuüben. Auch hier gibt es sicher viele Dinge, die sich tagtäglich wiederholen. Ich bin sehr froh und dankbar, dass es diese Menschen gibt.

Und wie sieht es mit dem Urlaub aus?

Es gibt Familien, die seit Jahren immer wieder an den selben Urlaubsort fahren und immer wieder Spaß erfahren und Erholung finden, obwohl es immer dieselbe Umgebung ist. Die wollen gar nicht woanders hin.

Und dann gibt es auch noch Menschen, die würden sehr gerne mal etwas anderes erleben, können das aber nicht, weil sie einfach die finanziellen Möglichkeiten nicht haben.

Es gibt noch so viel mehr …

Abenteuerlust ist was Großartiges. Sie steht für Vorfreude, Neues kennen zu lernen, zu entdecken, seinen Horizont zu erweitern, andere Länder, Städte, Landschaften zu erkunden, andere Kulturen, Leute kennen zu lernen, Grenzerfahrungen oder einfach neue Erfahrungen zu machen. Es ist gut, dass es sie gibt.

Ich freue mich für die jungen Leute, dass sie sich was trauen, abenteuerlustig sind und Pläne schmieden. Ich wünsche ihnen auch viel Freude an den Dingen, die sie sich vorgenommen haben und wünsche ihnen alles Gute für die Zukunft und keine Enttäuschungen oder Misserfolge. Schade nur, dass sie nicht sehen, dass das Leben an sich und von jedem einzelnen ein Abenteuer sein kann. Das hängt sicher nicht davon ab, ob jeder Tag im Leben dem anderen gleicht. Und selbst wenn es so wäre – na und!? Ich wünschte mir, dass die Menschen, bevor sie vorschnell urteilen und das auch äußern, überlegen, was das mit den Mitmenschen machen kann.

Wer hat zu beurteilen, was für wen gut oder schlecht ist oder welches Leben lebenswert oder langweilig - oder schlimmer noch - vergeudet ist und welches nicht. Niemand hat das Recht, darüber zu urteilen. Es steht niemandem zu, ein Urteil darüber zu fällen – außer Gott.

Von Gott kommt alles her! Er hat uns alle so gemacht, wie wir sind, mit all unseren Facetten. Was wirklich langweilig wäre: Wenn wirklich jeder Mensch gleich wäre, dieselben Interessen hätte, jeder dasselbe tun würde. Wo wäre da die Vielfalt, die das Leben doch erst bunt, interessant und schön macht.

Das Leben ist für uns alle da!!!

 

Anja Drechsler