Woran erkennt man alte Leute?
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Woran erkennt man alte Leute? … Sie reden ständig von früher! Vor ein paar Tagen habe ich mich mit meiner Freundin zum Spazierengehen verabredet. Wir kennen uns schon seit über 30 Jahren. Wir haben uns in der Spielgruppe der Kirchengemeinde kennengelernt, damals als unsere Kinder gerade mal ca. 1 Jahr alt waren. Mittlerweile sind die Kinder um die 30 Jahre alt, längst aus dem Haus. Doch auch, als sich unsere Wege damals, als die Schule für die Kinder losging, trennten, so haben wir uns doch nie aus den Augen verloren und immer Kontakt gehalten. Wir haben uns nun schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Corona hielt uns auf Abstand. Aber draußen an der frischen Luft durch die Natur wandern, das geht jetzt wieder. Das Wetter ist schön, kalt zwar, aber nicht schmuddelig, sondern sonnig. Also spazieren wir los - fernab von Straßenlärm und vielen Menschen genießen wir die Natur und freuen uns, dass wir einmal ein bisschen Zeit für uns haben und die bedrückenden Gedanken dieser Zeit für eine kurze Zeit beiseiteschieben dürfen. |
Und während wir so laufen und laufen und uns die Gegend anschauen, wird das Erzählen zum Selbstläufer. Wir erzählen und erzählen. Wir sprechen, wie man so schön sagt, über Gott und die Welt - berichten, was es in letzter Zeit so an Neuigkeiten gab und gibt. Tauschen Meinungen aus, reden über die Kinder, was die jetzt so machen, und dann auf einmal, wir haben es gar nicht richtig gemerkt, reden wir über längst vergangene Zeiten. Wir haben eine Menge Spaß. Wir lachen, kommen immer mit anderen Anekdoten: „Und weißt du noch …? Ach ja, und kannst du dich noch daran erinnern…? Was wir da nicht alle gemacht haben … Und wie wir da ausgesehen haben …“
Und, und, und …. Das geht eine ganze Weile so. Bis meine Freundin auf einmal abrupt stehenbleibt, sich zu mir dreht und grinsend sagt:
„Sag mal, woran erkennt man alte Leute? ….. Sie reden ständig von früher!“
Kennen Sie diesen Spruch auch? Ich habe ihn schon öfter mal gehört. „Mensch“, hieß es auch mal, „du lebst ja in der Vergangenheit. Wir leben aber im Hier und Jetzt. Bringt doch nichts. Vergangen ist vergangen.“ Ehrlich gesagt, in manchen Situationen habe ich mich darüber auch ein wenig geärgert und sofort begonnen, mich zu rechtfertigen. Aber warum eigentlich? Nur weil man von früher redet, ist man gleich alt?! Echt jetzt? Klar, das ein oder andere Zipperlein kommt im Laufe der Zeit schon dazu. Es ist nicht alles nur schön und es gibt auch mal Krisen zu bewältigen. Aber alt? Nee, alt sein wollte ich nicht. Wer will das schon?
Vielleicht sollte man die ganze Sache mal von einer anderen Seite betrachten – den Blickwinkel also die Sichtweise ändern. Ist es nicht in der Regel so, dass uns die schlechten Dinge des Lebens in Erinnerung bleiben, die negativen Eindrücke lange hängenbleiben und wir sie nicht vergessen können und die uns dann belasten und vielleicht sogar lähmen.
Macht es da nicht Sinn, sich gerade jetzt in dieser Zeit, wo so viel in der Welt passiert, sich auch mal an die schönen Dinge des Lebens zu erinnern? Was ist so schlimm daran?
Die Fotobranche boomt. Fotografieren ist modern und angesagt. Warum werden denn heutzutage ohne Ende Videos gedreht oder unzählige Fotos gemacht, z. B. im Urlaub, zu Familienfesten wie Taufe, Hochzeit usw., bei Ausflügen, von Kindern, usw.? Es sind oft junge Leute, die dies tun. Werden all diese Bilder und Videos gemacht, um später einmal in der „Vergangenheit leben“ zu können? Wohl kaum. Unterstellen wir all denen, die sich dann später mal diese Fotos, die sie aufgenommen haben, ansehen, dass sie alt sind? Es ist doch vielmehr so, dass diese Ereignisse in Erinnerung bleiben sollen, weil man Spaß an der Sache hatte – eine gute Zeit, und man sich irgendwann einmal beim Betrachten darüber freuen möchte und diese Freude auch mit anderen teilen will.
Die einen erzählen von früher und aus der Erinnerung heraus, die anderen schauen sich Videos und Fotos von früher an. Kommt doch eigentlich aufs Gleiche raus.
Und überhaupt: Was ist eigentlich so schlimm daran, älter zu werden oder alt zu sein?
Wie gesagt: auf die Sichtweise kommt es an: Das Alter ist keine Strafe, sondern ein Geschenk.
Nein, ich lebe nicht in der Vergangenheit, nur weil ich mich gerne an Begebenheiten aus der Vergangenheit erinnere und sie auch teilen möchte. Ich lebe im Hier und Jetzt, aber mit der Vergangenheit. Ich lebe im Hier und Jetzt, aber durchaus mit der Erinnerung an früher.
Und das ist gut so! Es ist eine Bereicherung. Was wäre denn das Leben ohne all die schönen Dinge des Lebens, an die man sich gern erinnert? Das macht doch das Leben aus. Und solange Erinnerungen es vermögen, mir und anderen ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern... Kein Grund sich zu grämen, alt (oder älter) zu sein. Seien wir doch dankbar.
„Woran erkennt man alte Leute? … Sie reden ständig von früher!“
Meine Antwort auf die Frage meiner Freundin:
Na und!?
Anja Drechsler